Romane

Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie

Nach langer Zeit endlich mal wieder eine Geschichte, die mich gepackt hat, bei der ich mehrfach geschmunzelt, gelacht und ein Tränchen verdrückt habe. Und ein bisschen habe ich mich beim Verschlingen dieses Buches auch darüber geärgert, dass ich mich viel zu lange um dieses Lesevergnügen gebracht habe. Um Bonnie Garmus „Eine Frage der Chemie“ bin ich nämlich mehrfach herumscharwenzelt und hab es dann aber doch immer in der Buchhandlung stehen lassen, weil das lahme Cover, der Klappentext und die erste Seite mich nicht vollständig überzeugt hatten. Eine TV-Köchin im Amerika der 1960er Jahre – och nö, habe gedacht. Dabei ist Elizabeth Zott, die Heldin in Garmus Roman, so viel mehr: allen voran Wissenschaftlerin (Chemikerin, um genau zu sein), Kämpferin, Geliebte, Ruderin, Mutter, Fernsehköchin, (Hunde-)Freundin, Atheistin. Elizabeth Zott ist anders als die meisten Frauen ihrer Zeit, die unter vielfältiger sexueller Diskriminierung und Unterdrückung leiden und in Rollen gepresst werden (sich pressen lassen), die sie auf die treusorgende Ehefrau, Mutter und Hausfrau reduzieren. Eine Karriere in der Wissenschaft – für Frauen ein steiniger Weg, weil ihnen nicht nur der Zugang zu Universitäten, Fakultäten, Forschungsprojekten und Fördermitteln vielfach verwehrt ist. Sondern weil sie sich auch mit Männern abgeben müssen, die ihre Ambitionen und Fähigkeiten geringschätzen, verhöhnen und für ihre eigenen Zwecke missbrauchen. Elizabeth Zott geht ihren Weg dennoch. Und Bonnie Garmus erzählt davon mit einer solchen Lebensklugheit und Warmherzigkeit, als würde sie das Leben ihrer besten Freundin erzählen. Kein verbissen emanzipatorischer Duktus, sondern der zutiefst humanistische Grundsatz, dass alle Menschen gleich sind und gleiches Recht auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, auf ihr Lebensglück haben. Dass Lebensglück nicht gleichbedeutend ist mit lebenslangem Glücklichsein, lehrt Elizabeth Zott, die Rück- und Schicksalsschläge erlebt und immer wieder aufsteht und weitermacht. Ihre Botschaft: Chemie ist permanente Veränderung, Verwandlung, sind Möglichkeiten. Diese Botschaft mitzunehmen, ist mehr wert als das dann leider etwas zu rosig geratene Happy End. Was ich noch mitnehme: Ich werde HB-Bleistifte und Hunde ab sofort mit anderen Augen betrachten. Und ich werde meinen Kindern ab und zu Botschaften in ihre Frühstücksboxen legen so wie es Elizabeth Zott für ihre wunderbare, kluge Tochter Mad tut: „Materie kann weder erschaffen noch zerstört werden, aber sie kann umorganisiert werden. Anders ausgedrückt: Setz dich nicht neben Tommy Dixon.“  

Übrigens Elizabeth Zott ist reine Fiktion, aber es gab frühe Chemikerinnen wie Rosalind Franklin (1920 bis 1958) und viele andere (Natur-)Wissenschaftlerinnen, die wie Zott gegen gesellschaftliche Konventionen aufbegehrten und nicht nur in ihren Forschungsgebieten, sondern für die Emanzipation der Frauen Bahnbrechendes leisteten. Siehe dazu auch: Furchtlose Frauen, die nach den Sternen greifen, mvg Verlag.

Bonnnie Garmus: Eine Frage der Chemie. Piper, 2022, 22 Euro (Hardcover). Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.

Blick ins Buch – die erste Seite:

„Kapitel 1
November 1961
Damals, im Jahr 1961, als Frauen Hemdblusenkleider trugen und Gartenvereinen beitraten und zahllose Kinder bedenkenlos in Autos ohne Sicherheitsgurte herumkutschierten; damals, bevor überhaupt jemand ahnte, dass es eine 68er-Bewegung geben würde, und erst recht nicht eine, von der ihre Teilnehmer die folgenden sechzig Jahre erzählen würden; damals, als die großen Kriege vorbei waren und die geheimen Kriege gerade begonnen hatten und die Menschen allmählich anfingen, neu zu denken und zu glauben, alles wäre möglich, stand die dreißigjährige Mutter von Madeline Zott jeden Morgen vor Tagesanbruch auf und war sich einer Sache ganz sicher; ihr Leben war vorbei. Trotz dieser Gewissheit begab sie sich ins Labor, um den Lunch für ihre Tochter einzupacken. Kraftstoff fürs Gehirn schrieb Elizabeth Zott auf einen kleinen Zettel, den sie in die Lunchbox ihrer Tochter steckte. Dann hielt sie inne, den Stift in der Luft, als würde sie neu überlegen. Treib in der Pause Sport, aber lass die Jungs nicht automatisch gewinnen, schrieb sie auf einen anderen Zettel. Dann hielt sie erneut inne, klopfte nachdenklich mit dem Stift auf den Tisch. Du bildest dir das nicht nur ein, schrieb sie auf einen dritten. Die meisten Menschen sind einfach scheußlich. Die letzten beiden legte sie obenauf.“

Die Autorin:

Bonnie Garmus war als Kreativdirektorin international vor allem in den Bereichen Medizin, Erziehung und Technologie tätig. Privat bevorzugt sie das Schwimmen im offenen Meer, wobei sie sich darauf konzentrieren muss, nicht darüber nachzudenken, was alles sonst noch unter ihr schwimmt. Gebürtig aus Kalifornien lebte sie lange in Seattle, wo sie sich ausgiebig dem Wettkampfrudern widmete. Sie ist außerdem Mutter zweier erwachsener Töchter und lebt aktuell mit ihrem Mann in London. „Eine Frage der Chemie ist ihr erster Roman. (Quelle: piper.de)

Ein Gedanke zu „Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie

  1. Es freut mich, dass dir das Buch so gut gefallen hat. Auch ich habe es innerhalb von 2 Tagen verschlungen. Sicher haben wir bis heute viel erreicht, aber es gibt noch immer so viel zu tun. Also liebe Töchter und Enkeltöchter, packen wir es an. „ Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.“

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