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Elke Heidenreich: Hier geht´s lang

Es ist wohl Phänomen und zugleich Privileg des Alters, auf das eigene Leben zurückzuschauen, sich zu erinnern, Wertvolles zu bewahren. Elke Heidenreich, die heute (15. Februar) auf 80 Lebensjahre blicken kann – Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! – tut dies in jüngster Zeit weidlich. In ihrem Buch „Männer in Kamelhaarmänteln“ erzählt sie von besonderen Kleidungsstücken, mit denen sie besondere Lebensabschnitte und -ereignisse verbindet (den Titel habe ich im Blog-Eintrag vom 11. April 2021 besprochen). In ihrem aktuellen Buch „Ihr glücklichen Augen“ schaut sie auf ihre zahlreichen Reisen rund um den Globus zurück. Und zwischen diesen beiden Titeln hat Elke Heidenreich, die nicht nur eine große Schreiberin, sondern eine ebenso große Leserin ist, ihre ganz persönliche Lese-Autobiografie verfasst, die zugleich eine wunderbare Liebeserklärung an das Lesen allgemein ist. In „Hier geht’s lang. Mit Büchern von Frauen durchs Leben.“ schildert Elke Heidenreich, was sie als Kind, als Mädchen, als Backfisch, als junge Frau, als Frau in den besten Jahren und als alte Dame gelesen hat und liest. Unwillkürlich habe ich an die Bücher meines Lebens gedacht. Und siehe da: Obwohl eine ganze Generation zwischen Elke Heidenreich und mir liegt, gibt es zumindest am Anfang unserer Lesebiografien Überschneidungen. Auch ich habe „Das Nesthäkchen“ gelesen und mich an seiner heilen Welt ergötzt. Auch ich habe Enid Blytons „Dolly“-Serie verschlungen, und auch ich habe die Nibelungensage mit Begeisterung gelesen ebenso wie herzzerreißende Liebesschnulzen, als das andere Geschlecht irgendwann anfing, interessant (und emotional herausfordernd) zu werden. Viele Bücher und Autorinnen, von denen Elke Heidenreich so wertschätzend erzählt, waren mir jedoch nicht bekannt, haben aber meine Neugier geweckt. Gelesen habe ich bereits Astrid Lindgrens „Das verschwundene Land“. Bücher von Ruth Klüger und Virginia Woolf sollen bald folgen. Wobei Elke Heidenreich keinesfalls einen Kanon aufstellt und sich dagegen verwahrt, Bücher nach lesenswert oder nicht lesenswert zu sortieren (denn das ist ja immer eine höchst subjektive Bewertung). Ihr geht es darum, zu zeigen, dass Bücher Antworten geben, auf Fragen, die sich jedem denkenden und fühlenden Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen und -krisen stellen. Worum es ihr außerdem geht, zeigt diese Passage, die ich wie viele andere dick und mit Rufzeichen angestrichen habe: „(…) es geht einfach nur um Liebe. Um Liebe zu den erzählten Geschichten. Und Liebe macht etwas mit einem, immer.“ (Seite 13)

Elke Heidenreich: Hier geht’s lang. Mit Büchern von Frauen durchs Leben. Eisele, 2021, 18 Euro (Hardcover).

Blick ins Buch – hier ausnahmsweise und weil es so wahr ist, die letzte Seite:

„Da sitze ich, bald achtzig Jahre alt, da sitze ich und lese immer noch. Neben mir mein Hund, über mir ein Bild von Harald Metzkes, der jetzt zweiundneunzig Jahre alt ist und den man den „Cézannist“ vom Prenzlauer Berg nennt. Ich sah dieses Bild im Jahr meiner Krebsoperation auf der Art Cologne. Und ich wusste: das ist mein Bild. Da sitzt eine Frau zwar drinnen, aber doch am offenen Fenster zur Welt und sieht aus, als ob sie um ihr Leben liest. Und während sie das tut, wird es draußen schon wieder hell. Ich stand davor und weinte und kaufte das Bild natürlich – ich hatte gerade kurz vorher einen gut dotierten Literaturpreis bekommen. (Ein Wunder, denn Bestsellerautoren kriegen in der Regel keine Preise!) Harald Metzkes wurde mir ein Freund in Briefen, ist es noch, und inzwischen habe ich noch mehr Bilder von ihm. Aber dieses ist mein Lebensbild. Es zeigt genau die Situation, in der ich so oft war, bin, sein werde. Irgendetwas stimmt nicht, irgendetwas ist geschehen. Wenn dann die richtige Geschichte zur Hand ist, wenn ich es dann schaffe, an dieser Geschichte dran zu bleiben, dann sehe ich irgendwann hoch und die Schwärze der Nacht ist dem Morgenhimmel gewichen. Und dann lege ich das Buch weg und gehe mit dem Hund ins Freie, wieder mal: gerettet.“

Die Autorin:

Elke Heidenreich, geboren 1943, lebt in Köln. Sie ist Schriftstellerin, Literaturkritikerin, Kabarettistin, Moderatorin, Journalistin und Opern-Librettistin. Heidenreich wurde bekannt durch die Moderation zahlreicher Fernseh- und Hörfunksendungen. Seit 1975 trat sie in der Rolle der Comedy-Figur Else Stratmann auf. 1992 debütierte sie als Schriftstellerin („Kolonien der Liebe“) und veröffentlicht seither vor allem Sammlungen von Erzählungen. In der ZDF-Literatursendung Lesen! stellte sie von 2003 bis 2008 Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt vor und wurde in dieser Zeit zu einer einflussreichen Literaturkritikerin. Seit 2012 gehört sie zum Kritikerteam des Schweizer Literaturclubs, den sie bereits von 1993 bis 1994 moderierte.
(Quelle: Wikipedia)

Elke Heidenreich feiert heute ihren 80. Geburtstag.
Foto: Leonie von Kleist

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