Kurzgeschichten

Elke Heidenreich: Männer in Kamelhaarmänteln

Was für ein kurzweiliges Lesevergnügen! Elke Heidenreichs „kurze Geschichten über Kleider und Leute“ erzählen vom Leben und sind wie das Leben selbst: mal leicht wie seidene Unterwäsche, mal schwer wie ein Militärmantel, mal komisch wie Gott in Armani und mal furchtbar traurig wie ein Abschied für immer in einem Kleid mit Veilchenmuster. Sprachlich so elegant wie Audrey Hepburn im kleinen Schwarzen. Es sind Geschichten, die im Kleinen das Große ausfindig machen. Was wir tragen, ist eben nicht Jacke wie Hose. Es erzählt von uns, was uns wichtig ist, was wir schön finden, wie wir uns selber sehen und wie wir von anderen wahrgenommen werden wollen. Viele Kleidungsstücke und Accessoires haben eine Geschichte: Begebenheiten, Beziehungen, Erlebnisse sind mit ihnen verwoben. Elke Heidenreich hat viele dieser Geschichten, die wir in ähnlicher Form alle in unseren Kleiderschränken verwahren, zu Papier gebracht und gewährt dem Leser dabei auch sehr intime Einblicke in ihre eigene Garderobe und Geschichte. Da ist die kleine Elke, die keine Hosen tragen darf, Elke als Teenie, der Schwarz trägt und Sartre liest, Elke als Studentin, die beinahe einen Dufflecoat klaut (aber nur beinahe!). Da ist die Frau, die das Lesen und Schreiben, die Musik (vor allem die Oper) und die Männer liebt. Oh, là, là, Frau Heidenreich hatte – so scheint’s – einen ziemlichen Verschleiß (aber er ist ihr gegönnt). Nur Männer in Kamelhaarmänteln kann sie nicht leiden. Warum? „Keiner, keiner kann Kamelhaar so tragen, wie das mein Vater konnte.“ Ja, der gleichermaßen verehrte wie verachtete Herr Papa kommt mehrfach vor in dieser Sammlung (ein Fest für Psychologen). Kostprobe: „Mein eleganter Vater fuhr im Auto vor, Anzug, weißes Hemd, hellbraune Lederhandschuhe, Seidenschal, und meine Mutter stand oben am Fenster im kleinen Geblümten, und ich sah beide und wusste: Es gab keine Chance.“ Chancenlos ist übrigens auch „Der perfekte Mann“, dieser schnieke Typ in Kaschmirpulli, dunkler Hose und geputzten(!) Lederschuhen, der im Café sitzt und ein Buch (!) liest. Heidenreich: „Er hatte keine Ahnung, wie erotisch lesende Männer auf gewisse Frauen wirken.“ Doch was er da liest, disqualifiziert ihn für jede weitere Annäherung: Fifty Sades of Grey. Manchmal verrät das, was wir lesen, noch mehr über uns als das, was wir tragen.

Elke Heidenreich: Männer in Kamelhaarmänteln. Kurze Geschichten über Kleider und Leute. Carl Hanser Verlag, 2020, 22 Euro (gebundene Ausgabe).

Blick ins Buch – die erste Seite:

Wünsche

Sie hatte sich immer gewünscht, mit einem Musiker zusammenzuleben. Nach vielen schwierigen und gescheiterten Beziehungen kam ein Musiker.
Jetzt trägt sie T-Shirts mit einem Aufdruck von Jenny Holzer: „PROTECT ME FROM WHAT I WANT“

Die Autorin:

Elke Heidenreich, geboren 1943, lebt in Köln. Sie ist Schriftstellerin, Literaturkritikerin, Kabarettistin, Moderatorin, Journalistin und Opern-Librettistin. Heidenreich wurde bekannt durch die Moderation zahlreicher Fernseh- und Hörfunksendungen. Seit 1975 trat sie in der Rolle der Comedy-Figur Else Stratmann auf. 1992 debütierte sie als Schriftstellerin („Kolonien der Liebe“) und veröffentlicht seither vor allem Sammlungen von Erzählungen. In der ZDF-Literatursendung Lesen! stellte sie von 2003 bis 2008 Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt vor und wurde in dieser Zeit zu einer einflussreichen Literaturkritikerin. Seit 2012 gehört sie zum Kritikerteam des Schweizer Literaturclubs, den sie bereits von 1993 bis 1994 moderierte.
(Quelle: Wikipedia)

Ein Gedanke zu „Elke Heidenreich: Männer in Kamelhaarmänteln

  1. Das Buch erzählt mehr über Elke Heidenreich als über Mode und Kleidung. Aber wer kennt es nicht? In dem festen Vorsatz abzunehmen, etwas zu klein gekauft, aus einer Laune heraus etwas Schrilles, Buntes, in dem ich mich niemals in unserem Dorf sehen lassen kann. Aus dem Urlaub etwas Exotisches mitgebracht, das zu Hause doch kein Urlaubsfeeling verbreitet. Wahrscheinlich gibt es in jedem Kleiderschrank solche Schätzchen.
    Es war wirklich es schönes Leseerlebnis und ein Eintauchen in eigene Erlebnisse.

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