Romane

Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann

Gerade ergeht es mir wie dem Optiker in Mariana Lekys Roman „Was man von hier aus sehen kann“. Ich sitze vor dem leeren Blatt (das eigentlich ein weißer Bildschirm ist) und setze zu immer neuen Liebeserklärungen an. Welche ist die beste, die treffendste? Welche wird diesem so besonderen Buch gerecht? Zig Anläufe gab es schon, alle wurden wieder verworfen, weil sie nicht groß und bedeutend genug erschienen, um das Maß der Zuneigung zu fassen. Aber womöglich lässt sie sich am besten durch die Summe vieler einzelner Liebeserklärungen bemessen? Einen Versuch ist es wert.

„Was man von hier aus sehen kann“ ist eine wunderbare Geschichte über das Leben, obwohl es im ersten Moment um den Tod geht. Denn die alte Selma hat wieder von einem Okapi geträumt. Und immer wenn das passiert, stirbt jemand aus ihrem Dorf irgendwo im Westerwald. Wie nun alle ihr Leben und das der anderen beargwöhnen und „auf den letzten Drücker Wahrhaftigkeit ins Leben bringen“, das ist skurril und schwarzhumorig komisch. Aber als der Tod dann tatsächlich kommt und einen aus ihrer Mitte reißt, da ist es nur noch furchtbar traurig.

„Was man von hier aus sehen kann“ ist eine wunderbare Geschichte über die Liebe. Die Liebe zwischen Eltern und Kindern, Großeltern und Enkelkindern. Die Liebe zwischen Freunden, zwischen Männern und Frauen. Die Liebe zur Heimat, wo auch immer sie ist. Die Liebe zu einem riesigen, grauen Hund.

„Was man von hier aus sehen kann“ ist eine wunderbare Geschichte über das Loslassen und Festhalten und den richtigen Moment, erzählt mit sehr viel Humor und einem zärtlichen Blick auf die Welt und die Menschen, die trotz oder gerade wegen ihrer Unvollkommenheit vollkommen richtig sind.

„Was man von hier aus sehen kann“ ist ein Buch, das genau in diesen trüben, kühlen November passt, weil es so herzerwärmend ist. Ein Buch, das mich vermutlich immer begleiten und immer wieder zum Lachen und zum Weinen bringen wird.

Ein letztes Wort zum Optiker, der seit Jahren heimlich in Selma verliebt ist. Erst kurz vor ihrem Tod, offenbart er sich und liest ihr all seine unvollendeten, unausgesprochenen Liebeserklärungen vor. Und Selma sagt: „Danke, dass du mir am Ende so viele Anfänge bringst. Und danke, dass du es mir das ganze Leben lang nicht gesagt hast. Wir hätten es sonst vielleicht nicht zusammen verbringen können. Stell dir das mal vor.“

Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann. Dumont, 2017, 20 Euro (Hardcover), 12 Euro (Taschenbuch).

Blick ins Buch – die erste Seite:

„Prolog

Wenn man etwas gut Beleuchtetes lange anschaut und dann die Augen schließt, sieht man dasselbe vor dem inneren Auge noch einmal, als unbewegtes Nachbild, in dem das, was eigentlich hell war, dunkel ist, und das, was eigentlich dunkel war, hell erscheint. Wenn man zum Beispiel einem Mann nachsieht, der die Straße hinuntergeht und sich immer wieder umdreht, um einem ein letztes, ein allerletztes Mal, ein allerallerletztes Mal zuzuwinken, und dann die Auge schließt, sieht man hinter den Liedern die angehaltene Bewegung des allerallerletzten Winkens, das angehaltene Lächeln, und die dunklen Haare des Mannes sind dann hell, und seine hellen Augen sind dann sehr dunkel. (…)“

Die Autorin:

Nach einer Buchhandelslehre studierte Mariana Leky, Jahrgang 1973, ab 1993 Germanistik und Empirische Kulturwissenschaften in Tübingen. Von 1999 an studierte sie Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Noch während des Studiums gewann sie mit Kurzgeschichten Preise beim Allegra-Wettbewerb und beim Niedersächsischen Literaturwettbewerb Junge Literatur. Ihr Debütband „Liebesperlen“ mit Erzählungen wurde 2001 veröffentlicht. 2004 erschien ihr erster Roman „Erste Hilfe“. Ihr 2017 veröffentlichter Roman „Was man von hier aus sehen kann“ stand 65 Wochen lang auf der Spiegel-Bestsellerliste und wurde zum „Lieblingsbuch der Unabhängigen“ Buchhändler gekürt. Mariana Leky lebt in Berlin.
(Quelle: Wikipedia)    

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