
Es ist bezeichnend, dass Wikipedia in einer Auflistung von 38 InsektenkundlerInnen, die vom 16. bis zum 21. Jahrhundert geforscht haben bzw. noch forschen, nur eine einzige Frau nennt: Maria Sibylla Merian (1647 bis 1717). Bezeichnend deshalb, weil es deutlich macht, wie bemerkenswert ihre wissenschaftliche und künstlerische Arbeit war. Bezeichnend aber auch, weil offenbar bis heute Frauen in den Naturwissenschaften unterrepräsentiert sind oder – und das erscheint mir persönlich wahrscheinlicher – forschenden Frauen in der scientific communitiy und in der breiten Öffentlichkeit seltener Beachtung geschenkt wird. Immerhin: Maria Sibylla Merian, die vor allem Schmetterlinge studierte und zeichnete, findet Beachtung, beispielsweise in Ruth Kornbergers Debütroman „Frau Merian und die Wunder der Welt“. Der Schwerpunkt liegt auf Merians Amsterdamer Jahren, in denen sie unermüdlich darauf hinarbeitete, die langersehnte Forschungsreise nach Surinam anzutreten, und auf ihrer Zeit in Surinam. Der Roman endet mit ihrer Rückkehr nach Amsterdam, wo ihrer Arbeit erstmals die Aufmerksamkeit der höheren Gesellschaft zuteil wird. Das liest sich hier und im Buch so leicht. Wie herausfordernd und kräftezehrend der ständige Kampf um Wahrnehmung und Unterstützung gewesen sein muss, in einer Zeit, da Frauen nur die Rolle der Hausfrau und Mutter und des dekorativen Beiwerks ihres Mannes zukam, kann man nur mit Mühe ermessen. Leider versäumt auch Ruth Kornberger, dies angemessen herauszuarbeiten. Mehr noch: Auch bei Kornberger bedarf es offenbar eines männlichen Protagonisten in Gestalt des Freibeuters und geheimnisvollen Merian-Liebhabers Jan de Jong, um die Geschichte, die so viel Spannendes in sich birgt, zu pimpen. Reine Fiktion, aber nun ja, wir haben es schließlich mit einem Roman zu tun und nicht mit einer Biografie. Insofern guter Lesestoff, der einer Frau eine Bühne gibt, die in ihrer Zeit mit vielen Konventionen brach, und Anreiz, doch noch in eine Biografie zu schauen oder Primärquellen zu studieren.
Empfohlen sei in diesem Zusammenhang auch das aufwendig illustrierte Sachbuch „Furchtlose Frauen, die nach den Sternen greifen“, in dem Rachel Ignotofsky 50 Kurzporträts von Wissenschaftlerinnen versammelt hat, die ebenfalls unter schwierigen Bedingungen forschten und um Anerkennung kämpften.
Ruth Kornberger: Frau Merian und die Wunder der Welt. Verlag C. Bertelsmann, 2021. 20 Euro (Hardcover)
Blick ins Buch – die erste Seite:
„Es war dunkel im Zimmer, und durch die dünnen Holzwände drang das Rufen fremder Tiere. Die Bewohner des Urwalds sangen, kreischten und zirpten noch immer, lockten, warnten und drohten einander. Sobald die Affen und Vögel endlich ihre Schlafplätze aufgesucht hatten, würde es ein wenig stiller werden. Oder lärmten sie nicht immer noch, sondern schon wieder? Maria war, als hätte sie im Bett nur kurz die Augen geschlossen, aber dieses Gefühl täuschte sie häufig. In den tropischen Nächten fand sie nur leichten Schlaf und erhob sich kaum erholter, als sie sich niedergelegt hatte. Jetzt wurden die Sklaven zur Arbeit gerufen. Zuerst erscholl die Stimme von fern, aber nach zwei Wiederholungen war sie direkt am Fenster. Der Morgen war angebrochen.“
Über die Autorin:
Ruth Kornberger wurde 1980 in Bremen geboren, liebt Schiffe und Geschichten über Abenteurerinnen. Mit ihrer Familie lebt sie in Weinheim. Sie ist Mitglied der Autorenkollektive Junge Literatur Mannheim und Qindie; ihre Kurzgeschichten sind in Literaturzeitschriften und Anthologien erschienen. Mit ihrem ersten Roman »Frau Merian und die Wunder der Welt« gelang ihr auf Anhieb der Einstieg in die Spiegel-Bestsellerliste. (Quelle: www.penguinrandomhouse.de)
Mehr und Unterhaltsameres findet ihr hier.