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Steffen Schroeder: Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor

Don’t judge a book by its cover – beurteile ein Buch nicht nach seinem Cover. Dieser von BuchrezensentInnen geprägte Ratschlag gilt einmal mehr für Steffen Schroeders Roman „Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor“. Die kühlen Farben, das pure Einsamkeit ausstrahlende Foto, der eigenwillige Titel – das alles wirkt doch eher abschreckend. Was schade ist, da Steffen Schroeder eine sehr berührende Geschichte erzählt, die ein reizvolleres Cover verdient hätte. Sie beginnt am 8. Oktober 1944 und endet am 16. Mai 1945. In diesen letzten Monaten vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs begegnet der Leser/die Leserin zwei weltberühmten Wissenschaftlern – Physiker, Nobelpreisträger, Freunde, hier vor allem Väter: Max Planck und Albert Einstein. Der 86-jährige Planck ist mit seiner zweiten Frau Marga aus dem kriegszerstörten Berlin aufs Land, nach Rogätz geflohen und bangt um seinen Sohn und Widerstandskämpfer Erwin, der nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler in der Justizvollzugsanstalt Tegel einsitzt. Der 65-jährige Albert Einstein ist nach Amerika emigriert, forscht und lehrt an der Princeton University, liebt die Frauen und seine unzähligen Katzen und verschwendet keinen Gedanken an seinen Sohn Eduard, der ebenfalls ein Gefangener ist: Mit der Diagnose Schizophrenie lebt er auf der geschlossenen Station der psychiatrischen Klinik Burghölzli in Zürich und pflegt den Hass auf seinen Vater.

Aus der Geschichte wissen wir, dass beide Vater-Sohn-Geschichten kein gutes Ende nehmen, um so mehr rührt es an, wie vor allem die beiden Plancks mit dem Schicksal hadern, zweifeln, hoffen, kämpfen und sich schließlich doch geschlagen geben müssen. Zwei stille, feinfühlige Männer, die sich – jeder auf seine Weise – um ihr Vaterland verdient gemacht haben, die zur Intelligenz ihres Landes gehören und im tumben Nazi-Deutschland zertreten werden.

Steffen Schroeder erzählt diese Geschichte mit großem Einfühlungsvermögen, in einer schnörkellosen Sprache und in einem stillen Tonfall. Er erzählt liebevoll, vielleicht auch deshalb, weil er auch einen Teil seiner eigenen Familiengeschichte erzählt: Steffen Schroeder ist väterlicherseits mit Max Planck verwandt. Aus Schroeders Familienbesitz stammt auch das Foto, welches das Cover ziert. Eine Aufnahme der Ärztin und Hobbyfotografin Nelly Planck, die Frau von Erwin und Schwiegertochter von Max. Es zeigt einen Mann, der ganz allein durch eine verschneite Landschaft auf ein schneebedecktes Bergmassiv zu wandert. Ob es Max Planck ist, der zeitlebens gerne wanderte, ist nicht klar, aber wenn es so ist, dann hätte man kein treffenderes Bild für das Cover auswählen können.

Dieses Buch kann ich aus tiefstem Herzen empfehlen, nicht nur weil es Geschichte auf sehr besondere Weise nahbar macht, sondern auch, weil es nachdenklich macht. Ich habe beim Lesen an all die politischen Gefangenen gedacht, die heute in Gefängniszellen überall auf der Welt um ihr Leben bangen, und an all die Väter und Mütter, die vor lauter Angst um ihre inhaftierten Söhne und Töchter nicht atmen können. Und ich denke, dass der vermeintlich Verrückte, den klarsten Blick auf die Welt hat, als er sagt: „Die Welt ist ein Pilz. Alles ist miteinander verbunden.“ (Seite 301 f). Das Gestern, das Heute und das Morgen – wir alle – sind miteinander verbunden. Uns dessen bewusst zu werden, ist der erste Schritt zu einer menschlicheren Welt.

Steffen Schroeder: Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor. Rowohlt, 2023, 22 Euro (Hardcover).

Zum Autor:

Steffen Schroeder, geboren 1974 in München, ist Schauspieler und Schriftsteller. Er war Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater, bevor er Claus Pyemann ans Berliner Ensemble folgte, und spielte in zahlreichen Fernsehserien und Kinofilmen. Schroeder engagiert sich für den Weißen Ring und gegen Rechtsextremismus, seit 2017 ist er Botschafter der Organisation Exit-Deutschland. Sein Buch „Was alles in einem Menschen sein kann. Begegnung mit einem Mörder“ (2017) löste großes Echo aus. 2020 erschien sein Debütroman „Mein Sommer mit Anja“.
(Quelle: Klappentext)

Blick ins Buch – die erste Seite:

„Das Bekenntnis
6. Oktober 1944, Rogätz

All die Jahre hat er versucht, nicht anzuecken. Hat versucht, in diesen schwierigen Zeiten nicht viel Aufhebens zu machen. Immer in der Hoffnung, dass man ihn und seine Kollegen würde gewähren lassen.
Wissenschaft und Politik, das waren zwei Dinge, die man trennen musste. Wissenschaftler sollten sich aus der Politik heraushalten. Und im Gegenzug sollte die Politik die Wissenschaft in Ruhe forschen lassen. Der Meinung ist er immer gewesen. Dass mit dem Regierungswechsel ein Unglück über Deutschland hereingebrochen ist, hat er hingegen von Anfang an so empfunden. Sicher, er hat es nicht so düster kommen sehen, wie es sein Sohn von Beginn an prophezeit hat. Erwin hat es wissen müssen.
Sein Blick fällt wieder auf den Brief, der vor ihm auf dem Schreibtisch liegt. Er rückt die Brille zurecht.
Der Präsident der Reichskulturkammer steht als Absender auf dem Briefkopf.
Sehr geehrter Herr Geheimrat!
Mit diesem Brief erlaube ich mir, Sie an die Beantwortung meines Schreibens zu erinnern
,
beginnt der Text, den er schon Dutzende Male gelesen hat. Für gewöhnlich benötigt er keine Erinnerung. Für gewöhnlich ist er von preußischer Pünktlichkeit.“   

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